Ungenügende statistische Nachweiskraft für Schweizer Studie zu Kinderkrebs um Atomkraftwerke?
Seit dem 1. Sept. 2008 wird an der Schweizer CANUPIS-Studie gearbeitet, mit Ergebnissen ist 2011 zu rechnen. CANUPIS steht für „Childhood Cancer and Nuclear Power Plants in Switzerland“. Die Studie prüft, ob Kinder, die in der Nähe eines der vier Schweizer Atomkraftwerk-Standorte leben oder aufgewachsen sind, ein erhöhtes Risiko haben, an Krebs, insbesondere an Leukämie zu erkranken. Ein solcher Zusammenhang war für Deutschland mit der im Dezember 2007 veröffentlichten KiKK-Studie (Epidemiologische Studie zu Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken) eindeutig nachgewiesen worden.
CANUPIS wurde von der Krebsliga Schweiz (KLS) und dem schweizerischen Bundesamt für Gesundheit (BAG) in Auftrag gegeben. An der Finanzierung sind auch Schweizer Energieunternehmen beteiligt, die allerdings, um Interessenskonflikte zu vermeiden, ihre Beiträge an das BAG überweisen müssen. Die Studie wird ausgeführt vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM), Direktor: Prof. Dr. med. Matthias Egger, in Verbindung mit dem Schweizer Kinderkrebsregister (SKKR) an der Universität Bern. Federführend ist die Leiterin des SKKR, Privatdozentin Dr. C. Kuehni.
Bezüglich des Studiendesigns war KiKK als „Fall-Kontroll-Studie“ angelegt, d.h. jedes in der Umgebung eines der 16 deutschen AKW-Standorte an Krebs erkrankte Kind unter 5 Jahren wurde mit drei gesunden Kindern gleichen Alters und gleichen Geschlechts aus der gleichen Region hinsichtlich der Wohnentfernung zum nächsten AKW-Abluftkamin verglichen.
In der Schweiz wäre ein solches Design wegen der zu geringen Zahlen statistisch von vornherein nicht aussagekräftig gewesen. Deshalb hat man sich bei CANUPIS für eine gesamtschweizerische Langzeitstudie, eine sog. „Kohorten-Studie“ entschieden: Alle zwischen 1985 und 2007 geborenen Schweizer Kinder (nicht nur die bis 5, sondern alle bis 15-Jährigen) werden erfasst und die Wohnorte der an Krebs erkrankten Kinder ab Geburt bis zur Diagnose mit den Wohnorten der gesunden Kinder in Bezug auf die Entfernung zu einem AKW-Standort verglichen.
Die statistische Nachweiskraft („statistical power“) der CANUPIS-Studie wird allerdings bezweifelt: Heute ist im „Schweizer Krebsbulletin“ Nr. 4/2009 ein Letter to the Editor „Sufficient Statistical Power for CANUPIS ?“ (Ausreichende statistische Nachweiskraft der CANUPIS-Studie?) von Dr.Claudio Knüsli, Dr.Hagen Scherb und Dr.Martin Walter zu lesen. Eingehende statistische Berechnungen veranlassen die Autoren zu dem Schluss, das Risiko von falsch negativen Studienresultaten müsse als inakzeptabel hoch eingestuft werden, falls das Ausmaß des Krebserkrankungsrisikos in der Umgebung von Atomkraftwerken in der Schweiz und in Deutschland im ähnlichen Bereich liegt.
Die Verfasser des Letter to the Editor schlagen deshalb vor, es möge ergänzend untersucht werden, ob die Resultate der Schweizer Studie von denjenigen der deutschen KiKK-Studie signifikant verschieden sind.
In einer Replik widerspricht die CANUPIS-Studienleitung der Sicht der Verfasser des Letter to the Editor nicht, möchte die Diskussion aber erst weiterführen, wenn Resultate vorliegen. Hinsichtlich Powerberechnungen vor Studienbeginn wird ferner auf das internationale Expertenteam verwiesen, das die CANUPIS-Studie berät.
IPPNW hat aufmerksam registriert, dass in dieses „Wissenschaftliche Advisory Board“ (Beratungsgremium) der CANUPIS-Studie auch Prof. Maria Blettner, Leiterin des Instituts für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik (IMBEI) der Universität Mainz, berufen wurde. Blettner war gemeinsam mit Dr.Peter Kaatsch vom Deutschen Kinderkrebsregister in Mainz federführend bei der KiKK-Studie. Bei der Vorstellung der Ergebnisse, die eine eindeutige Risikoerhöhung für Kinderkrebserkrankungen zeigten, fiel sie durch folgende wissenschaftlich unhaltbare Behauptung auf: „Aufgrund des aktuellen strahlenbiologischen und strahlenepidemiologischen Wissens kann die von deutschen Kernkraftwerken emittierte ionisierende Strahlung grundsätzlich nicht als Ursache interpretiert werden“. Die KiKK-Studie hatte nie das Ziel verfolgt – und dementsprechend nie über die notwendige Aussagekraft verfügt – , Radioaktivität als Ursache auszuschliessen.
„Zusätzlich hat Frau Prof. Blettner die extreme Strahlensensibilität von Embryos, Feten, Säuglingen und Kleinkindern nicht berücksichtigt; ferner vertraut sie hinsichtlich des „aktuellen strahlenbiologischen und strahlenepidemiologischen Wissens“ auf veraltete Berechnungsmodelle zur Radionuklidverteilung in der AKW-Umgebung, zur Inkorporation von Radioisotopen mit Atmung, Essen und Trinken, zur Verweildauer in verschiedenen Organen, zu Dosis-Wirkungsbeziehungen etc.“, so der deutsche IPPNW-Kinderarzt Dr. Winfrid Eisenberg. „Wenn Frau Prof. Blettner ihren Einfluss nun auch in der Schweizer Kinderkrebsstudie geltend macht, muss man sich um die Neutralität der Ergebnisbewertung sorgen.“
Der Leserbrief, sowie eine Replik der Canupisstudienleitung, im Schweizer Krebsbulletin und einen WoZ-Beitrag können Sie herunterladen