Eisenhowers Warnung vor einem Staat im Staat
NZZ, 18.1.2011
Die Abschiedsrede des 34. amerikanischen Präsidenten hallt auch 50 Jahre später noch nach
Am 17. Januar 1961 verabschiedete sich der amerikanische Präsident Eisenhower mit einer Fernsehansprache von seinen Mitbürgern und seinem Amt. Die berühmt gewordene Rede hat noch heute einen aktuellen Klang.
Ronald D. Gerste, Washington
Vor 50 Jahren sahen die Amerikaner fasziniert einem Epochenwechsel entgegen. Ein junger, charismatischer Präsident mit einer sympathischen Familie stand kurz vor seiner Amtseinführung. Während John F. Kennedy die Zukunft verkörperte, wirkte der seine letzten Tage im Weissen Haus verbringende Vorgänger wie eine liebenswürdige Erinnerung an vergangene, bald verklärte Zeiten. Der grossväterliche Dwight D. Eisenhower hatte die USA durch acht Jahre des Friedens und der Prosperität geführt; unter seiner Ägide war für Millionen von Amerikanern der Traum vom Häuschen in der Vorstadt, vom Fernseher im Wohnzimmer und vom chromblitzenden Chevrolet oder Cadillac in der Garage Wirklichkeit geworden, während sich die Teenager am Rock’n’Roll und an Leinwandheroen wie James Dean und Marlon Brando begeisterten.
«Unbefugte Macht»
Doch Eisenhower, der als Oberkommandierender der alliierten Streitkräfte 1944/45 der militärische Verantwortliche für die Befreiung Europas von der Nazi-Tyrannei gewesen war, mochte kein rosarotes Bild der Gegenwart zeichnen, keine selbstzufriedene Bilanz ziehen. Der Präsident machte sich bereit, seinen Landsleuten eine Mahnung mit auf den Weg zu geben, die unvergessen ist und die seine Abschiedsrede («farewell address») zu einer der beiden berühmtesten Ansprachen dieser Art machte – neben jener des Gründervaters George Washington, der seine Mitbürger 1797 davor warnte, die junge Nation durch Allianzen in die Querelen des alten Europa hineinziehen zu lassen.
Eisenhower sprach am Abend des 17. Januar 1961 im Fernsehen und kam nach allgemeinen Bemerkungen zur Lage der Nation zu seinem Anliegen: «Wir müssen auf der Hut sein vor unberechtigten Einflüssen des militärisch-industriellen Komplexes, ob diese gewollt oder ungewollt sind. Die Gefahr für ein katastrophales Anwachsen unbefugter Macht besteht und wird weiter bestehen. Wir dürfen niemals zulassen, dass das Gewicht dieser Kombination unsere Freiheiten oder unseren demokratischen Prozess bedroht.» Die Mahnung vor dem Militär und der Rüstungsindustrie war vor allem deshalb so authentisch – und für viele Zuhörer so überraschend -, da sie aus dem Munde eines Mannes kam, der fast sein gesamtes Berufsleben in Uniform verbracht hatte, von seinem Eintritt in die Militärakademie West Point 1911 bis zu seinem Abschied aus der Armee 1952 vor seiner Kandidatur für die Präsidentschaft.
Friedensperiode
Doch den Ex-General bewegte schon seit längerem die Gefahr, dass unter dem Szenario ständiger äusserer Bedrohungen – zu seiner Zeit als General durch die Japaner und Nazideutschland, später durch die Sowjetunion und China – die im Zweiten Weltkrieg gigantisch gewachsene Rüstungsindustrie eine Art Staat im Staate werden könnte. Schon im April 1953, nur drei Monate nach seiner Amtsübernahme, hatte Eisenhower in einer Rede vor Zeitungsverlegern beklagt, dass «jede Kanone, die hergestellt wird, jedes Kriegsschiff, das vom Stapel läuft, jede Rakete, die gestartet wird, ein Diebstahl von jenen ist, die hungern und denen nichts zu essen gegeben wird, die frieren und die nicht gekleidet werden». Die Rüstungsausgaben einer jeden Nation «verschwenden den Schweiss ihrer Arbeiter, den Genius ihrer Wissenschafter, die Hoffnungen ihrer Kinder». Für einen Berufssoldaten waren dies erstaunliche Worte.
Vielleicht waren Eisenhowers eigene Erfahrung mit dem Krieg und seine Aversion gegen die Rüstungsindustrie ein Grund, warum seine Jahre im Weissen Haus (Januar 1953 bis Januar 1961) zu den friedlichsten der modernen amerikanischen Geschichte gehören. Das Militär wurde in dieser Zeit nur vereinzelt zu kurzen Aktionen wie der Landung von Marines in Libanon 1958 eingesetzt. Doch ein Gefühl wirklicher nationaler Sicherheit machte sich bei den Amerikanern nicht breit: Die fünfziger Jahre waren auch die Zeit des mit dem Namen McCarthy verbundenen Kongressausschusses gegen «unamerikanische Umtriebe» (sprich: kommunistische Subversion), des «Sputnik-Schocks» und der «Bomberlücke», aus der im Wahlkampf 1960 die «missile gap», die vermeintliche Unterlegenheit der USA gegenüber der Sowjetunion bei strategischen Raketen, wurde.
Das 50-Jahr-Jubiläum der Abschiedsrede Eisenhowers beschäftigt seit Wochen diverse Kommentatoren, hat zur Freigabe wichtiger Archivdokumente zu ihrer Entstehung geführt und wird mit einem wissenschaftlichen Symposium in Washington gewürdigt. Doch bei vielen damaligen Zeitgenossen verpuffte die Wirkung schnell. Der neue Präsident, Kennedy, hatte im Wahlkampf höhere Verteidigungsausgaben, nukleare Aufrüstung und den Sieg im Rennen ins Weltall gefordert, und er hielt sich nach seiner Vereidigung daran.
In der Rückschau wird heute in den USA vor allem über ihre Aktualität diskutiert. James Ledbetter, der ein Buch über Eisenhower und den militärisch-industriellen Komplex geschrieben hat, resümiert ernüchtert: «In den letzten 50 Jahren gab es wenige Jahre, in denen die USA weniger Geld für das Militär ausgegeben haben als im Jahr zuvor. Das ist so geblieben, unabhängig davon, ob das Land einen Krieg führt, ob es einen erkennbaren und gut bewaffneten Gegner gibt und ob Demokraten oder Republikaner im Weissen Haus und im Kongress das Sagen haben. Trotz regelmässigen Erwartungen, dass sich die USA einer Friedensdividende erfreuen könnten, geben wir nach wie vor mehr für das Militär aus als die Länder mit den nächsten 15 höchsten Verteidigungsbudgets.»
Andrew Bacevich sieht in der Zeitschrift «Atlantic Monthly» für die Gegenwart eine Fortsetzung der von Eisenhower beschworenen Achse bis in den Kongress hinein, in dem die Lobbyisten der Rüstungsindustrie bekanntlich nicht gerade einflusslos sind: Dank seinen Verbündeten bleibe der militärisch-industriell-legislative Komplex gegen jede Veränderung resistent – eine Tatsache, die Präsident Obama in seinem ersten Jahr im Amt habe lernen müssen.
Mahnung zur Wachsamkeit
Eisenhower hatte indes bei seiner «farewell address» auch die Remedur, quasi das Gegengift gegen den krakenhaften Machtanspruch des militärisch-industriellen Komplexes, parat: «Nur eine aufmerksame und kenntnisreiche Bürgerschaft kann eine angemessene Verbindung der riesigen industriellen und militärischen Maschinerie der Verteidigung mit unseren friedlichen Zielen und Methoden sicherstellen, so dass Sicherheit und Freiheit zusammen gedeihen können.» Wahrscheinlich hätte dem alten General die heutige Präsenz allgegenwärtiger Nachrichtensender, investigativer Journalisten und aufmerksamer Blogger Respekt abgenötigt.
Präsident Eisenhower beschränkte nach dem Abschied vom Amt seine Beziehung zu allem Militärischen darauf, dass er bis zu seinem Tod 1969 zusammen mit seiner Gattin Mamie auf einer Farm in Gettysburg am Rande des berühmten Bürgerkriegsschlachtfeldes wohnte. Er erlebte noch mit, wie die USA und ihr Militär in den Treibsand von Vietnam gerieten – einen Krieg, anscheinend ohne Ende und ohne Ausweg, jene Art von Konflikt, die Eisenhower als Präsident um jeden Preis zu vermeiden suchte.