Tages Woche19.11.2011, 15:46 Uhr
Im «Beirat für die Energiestrategie 2050» des Bundesrats haben offensichtliche und verkappte Verteidiger der Atomenergie die Oberhand. Die dezentrale Energiewirtschaft der Zukunft bleibt hingegen ausgesperrt. Von Niklaus Ramseyer
Insgesamt 16 Fachmänner und 2 Fachfrauen «aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kantonen und Verbänden» bilden seit ein paar Wochen einen «Beirat für die Energiestrategie 2050». Sie sollen unter dem Präsidium der eidgenössischen Energieministerin Doris Leuthard (CVP) höchst persönlich «die Umsetzung der Energiestrategie 2050 begleiten», wie Leuthard mitteilen lässt. «Energiestrategie 2050» meint den langfristigen Ausstieg aus der Atomenergie, wie ihn die Aargauer CVP-Bundesrätin nach der Katastrophe von Fukushima eingeleitet, und das Schweizer Parlament dann auch beschlossen hat.
Leuthard selber hat den Beirat zusammengestellt. Ob sie dabei nach den eidgenössischen Wahlen bewusst ins alte, atomar verseuchte Fahrwasser zurück navigiert hat, oder von listigen Beratern dorthin gelotst wurde, ist unklar. Ihr Departement teilte auf Anfrage der Westschweizer Zeitung «Le Temps» bloss beschwichtigend mit: Leuthards Ausstiegs-Beirat habe je nur beratende Funktion und entscheide nichts.
Kernkraft-Konzerne doppelt vertreten
Dass in ihrem «Beirat» für den Abschied vom Atom die Atomstrom-Barone krass dominieren, dürfte der letzten CVP-Vertreterin in der Landesregierung indes kaum entgangen sein: Mit Beat Moser von Swisselectric und Michael Frank vom VSE (Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen) sind die grossen Kernkraft-Konzerne im Land gleich doppelt im Beirat vertreten. Der frühere CVP-Stände- und aktuelle AKW-Verwaltungsrat Philipp Stäheli (Gösgen-Däniken) verstärkt die Atom-Fraktion zusätzlich. Peter Grüschow von der Netzgesellschaft Swissgrid vertritt indirekt ebenfalls jene Kernkraftunternehmen, die sich auch nach Fukuschima noch stur gegen den Atom-Ausstieg gewehrt hatten.
Ein Atom-Apologet der Economiesuisse
Ein CVP-Kollege Leuthards ist auch Rolf Soiron, der in der Mitteilung ihres Departements zum Beirat als Vertreter von «Economiesuisse» aufgeführt wird. Der Mann ist indes nicht nur VR-Präsident beim Zementmulti Holcim: Er betont laut «Handelszeitung» auch «bei jeder Gelegenheit die Vorteile von flüssigen Nuklearbrennstoffen und von Thorium». Thorium ist jener futuristische AKW-Brennstoff, den der Freisinn in der Aussteigs-Debatte vorab im Ständerat zwecks Torpedierung der Ausstiegs-Beschlüsse unablässig – aber letztlich erfolglos – zelebriert hatte.
Für Economiesuisse sitzt somit auch ein Atom-Apologet im Beirat. Die unter «Wissenschaft» figurierenden Kernkraft-Professoren im Rat schüren teils ebenfalls unvermindert die Illusionen von künftigen neuen Generationen «sicherer» Atom-Meiler. Aber der Gewerbeverband, der sich vom Atom-Ausstieg und der neuen, dezentralen Energieproduktion zukunftsträchtige Aufträge fürs lokale Gewerbe erhoffen kann: Sollte nicht wenigstens der mit einem entsprechenden Fachmann im Beirat vertreten sein?
Leider auch nein: Enrique Schneider, der in der Namensliste für Leuthards Beirat unter «Gewerbeverband» figuriert, ist nicht etwa ein KMU-Vertreter aus der rasch wachsenden neuen Energiebranche: Er sitzt im Vorstand der Atom-Lobby-Gruppe «Nuklearforum Schweiz». Zwei CVP- und ein SVP-Regierungsrat, welche als Kantons-Vertreter im Beirat hocken, sind auch erst seit einigen Monaten für den Atom-Ausstieg – oder noch immer nicht: Vor Jahresfrist engagierten sie sich jedenfalls noch alle stramm für den Bau neuer AKWs in der Schweiz.
Fachleute für Energiewende in der Minderheit
Fazit: Gut zwei Drittel der Beiräte, welche die Ausstiegs-Vorbereitungen des Bundesamtes für Energie in Leuthards Departement begleiten und begutachten sollen, vertreten den beschlossenen Atom-Ausstieg nur widerwillig – oder gar nicht: Sie werden versuchen die Wende zur neuen, nachhaltigen und dezentralen Energieproduktion möglichst lange zu verzögern – und ihre obsoleten Atommeiler im Land bis zum absoluten Gehtnichtmehr am Netz zu lassen.
Jene Fachleute, welche die Energiewende aus Überzeugung befürworten, wie Professor Rolf Wüstenhagen, der frühere SP-Nationalrat und Preisüberwacher Rudolf H. Strahm, Hans-Peter Fricker vom WWF oder Raimund Rodewald von der Stiftung für Landschaftsschutz bleiben im Ausstiegs-Beirat derweil hoffnungslos in der Minderheit.
Schlimmer noch: Kompetente Vertreter jener neuen nachhaltigen und dezentralen Energieproduktion, welche die ausgebrannten AKWs ab 2050 ersetzen soll, gingen bei der Installation des Beirates ganz vergessen: Den dezidierten AKW-Gegner, Spezialisten für Windenergie und ehemaligen Basler SP-Nationalrat Ruedi Rechsteiner etwa sucht man auf Leuthards Beirats-Liste ebenso vergebens, wie Vertreterinnen und Vertreter der Grünen. Nicht mit von der Partie ist auch der ausgewiesene Energie-Fachmann und Baselbieter SP-Nationalrat Eric Nussbaumer. Schroff übergangen hat Leuthard zudem Greenpeace und die Energiestiftung Schweiz. Aber auch der Wirtschaftsverband der neuen Energieproduzenten «Swisscleantech» bleibt draussen vor der Tür ihres Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) im Bundeshaus Nord.
Der Atomfilz ist schon wieder da
Kurz und schlecht: Fast alle Fachleute und Organisationen, die schon lange vor der Atomkatastrophe in Japan die Gefahren der Atomenergie erkannt, und neue nachhaltige Energieproduktionen propagiert hatten, sollen bei der Umsetzung des beschlossenen Atom-Ausstiegs nicht mitreden können. Das enttäuscht die Mehrheit der Leute im Land, die noch bis zu den Wahlen vom 23. Oktober grosse Hoffnungen in die wundersam von der Aargauer «Atom-Saula» zur nationalen «Ausstiegs-Paula» gewandelten Doris Leuthard gesetzt hatten.
Die krass einseitige Zusammensetzung ihres Ausstiegs-Beirats lässt auch für die längst fällige Entfilzung und unabhängige Gestaltung des Eidgenössischen Nuklearinspektorats (Ensi) nichts Gutes erahnen. Dass «inzwischen der Wind gedreht hat» oder gar das «Vertrauensproblem erkannt» wäre, ist im Beirat jedenfalls nirgends festzustellen. Ganz im Gegenteil: Mit diesem Gremium meldet sich der alte Atom-Filz im Bundeshaus in Bern pünktlich nach den Wahlen gleich wieder unverfroren zurück.