Zum 11. März 2020. Botschaft von Frau Ruiko Muto Sprecherin der Klägergruppe gegen TEPCO/Repräsentantin der Gruppe Frauen von Fukushima.
Neun Jahre sind seit der Nuklearkatastrophe von Fukushima vergangen. Zunächst möchte ich mich bei all denen bedanken, die sich für eine atomfreie Zukunft einsetzen und deren Gedankenbei uns sind.
Gerade ist Fukushima in aller Munde in ganz Japan wegen des Fackellaufs für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio, der im März in Fukushima starten soll und eine willkommene Gelegenheit ist, um die durch den Atomunfall entstandenen Folgen und Probleme rücksichtslos beiseite zuschieben oder geschickt zu verbergen. Auch die Gebiete, die bisher als „schwer zugänglich“ gegolten hatten, sind teilweise für die Rückkehr freigegeben worden. Die Bahnstrecke „Jôban-sen“, die seit dem Unfall unterbrochen blieb, wird demnächst wieder durchgängig befahrbar.
Vom J-Village, einem Fußballstadion, das ca. 20 km vom havarierten AKW Fukushima Daiichi entfernt liegt, soll der Fackellauf starten. Hier spielen bereits viele Fußballer – Kinder wie Erwachsene – aus dem ganzen Land. Die Präfektur Fukushima hat auf der gesamten Strecke des Fackellaufs Strahlungsmessungen durchgeführt, dabei wurden teilweise Messwerte von 0,77 Mikrosievert oder 0,46 Mikrosievert pro Stunde an Straßenrändern und auf Autostraßen registriert. Bisher hat man mindestens an 13 Stellen der Laufstrecken innerhalb der Präfektur Fukushima über 0,23 Mikrosievert pro Stunde gemessen, also Werte über dem Grenzwert, ab dem eine Dekontaminierungsarbeit eigentlich obligatorisch sein soll. Wir sind daher in Sorge, dass der Lauf sowohl bei den Fackelläufern als auch bei den Zuschauern an den Straßen gesundheitliche Folgen verursachen könnte. Man bezeichnet diese Olympischen Spiele als „Wiederaufbau-Olympiade“, aber es ist fraglich, was dabei für die Betroffenen „Wiederaufbau“ sein soll.
Überhaupt waren die Olympischen Sommerspiele 2020 einst mit der Lüge von Japans Premierminister Abe beworben worden, der sagte: „Die Situation in Fukushima ist unter Kontrolle“. Die Menge des durch das Filtersystem ALPS gefilterten Wassers, das in Wassertanks auf dem Gelände des havarierten AKWs abgefüllt und gelagert ist, überschreitet mittlerweile 1,2 Millionen Tonnen. Das Komitee des Wirtschaftsministeriums zur Frage über das verseuchte Wasser einigte sich nun auf eine Empfehlung, das gefilterte, aber noch radioaktiv belastete Wasser entweder ins Meer abzuleiten oder in Form von Dampf in die Atmosphäre abzulassen, mit der Begründung, die Anwohner dadurch entlasten zu wollen.
Dabei ist über andere alternative Methoden zur Wasserlagerung oder zur weiteren Filterung von noch enthaltenen Radionukliden (Tritium und anderen) nicht genug diskutiert worden und die Möglichkeiten sind noch nicht ausgeschöpft. Sowohl die Fischer als auch die Anwohner der betroffenen Gebiete sind gegen diese Empfehlung. Die absichtliche Einbringung von radioaktiv verseuchtem Wasser ins Meer verstößt sowohl gegen das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen als auch die Londoner Konvention. Wir brauchen daher dringend Ihre Unterstützung aus der ganzen Welt: Bitte erheben Sie Ihre Stimme gegen dieses Vorhaben, damit Japan die Weltmeere nicht noch mehr verschmutzt.
Bei dem Abbau von einem der Ablufttürme der havarierten Reaktoren, der letztes Jahr begonnen hatte, sollte die ganze Operation ursprünglich durch Fernsteuerung durchgeführt werden, da sonst die Strahlung zu hoch ist, aber die Arbeit musste letztendlich doch durch Menschen fortgesetzt werden. Dabei mussten Arbeiter unter hoher Strahlungsgefahr mit dem Kran zur Spitze des Turms hinauffahren, um ihn Stück für Stück mit einer Fräsmaschine abzusägen. Die Unfälle von Arbeitern an der Atomruine häufen sich indes: Satoshi Haruhashi, ein japanischer Schriftsteller, berichtet in seinem Blog, dass es seit der Katastrophe bis zum Ende der ersten
Jahreshälfte 2019 insgesamt 20 Tote, 24 Schwerverletzte, 29 Bewusstlose, 222 Verletzte und 101 Hitzeschläge gegeben habe, und dabei handele es sich nur um die offiziell von TEPCO bestätigten und anerkannten Zahlen.
Jahreshälfte 2019 insgesamt 20 Tote, 24 Schwerverletzte, 29 Bewusstlose, 222 Verletzte und 101 Hitzeschläge gegeben habe, und dabei handele es sich nur um die offiziell von TEPCO bestätigten und anerkannten Zahlen.
Im September 2019 hat das Landesgericht von Tokio im Strafprozess gegen drei frühere Topmanager von TEPCO ein unglaubliches Urteil gefällt: Die Angeklagten wurden alle als „nicht schuldig“ freigesprochen. Das Urteil ist für alle Opfer der Nuklearkatastrophe inklusive derer in der Präfektur Fukushima inakzeptabel und hat uns bitter und tief enttäuscht. Der Staatsanwalt kritisierte: Das Urteil sei da, „um der Politik der Atomenergieförderung einen Gefallen zu erweisen“.
Das Urteil berücksichtigte kaum die zahlreichen Zeugenaussagen und Beweismaterialien, die in 37 Hauptverhandlungen offengelegt worden waren. Stattdessen wurden fast ausschließlich Beweise und Argumentationen zugunsten von TEPCO hintereinander aufgezählt. Die durch den Atomunfall verursachten Schäden erwähnte das Urteil kaum.
Außerdem bestritt das Gericht gänzlich die Zuverlässigkeit der auf neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen basierenden Erdbeben- und Tsunami-Langzeitprognosen, die sogar ein Regierungsorgan veröffentlicht hatte. Im Hinblick auf das Sicherheitsniveau von Atomanlagen behauptete das Urteil, dass die „gesellschaftlichen Konventionen“, die sich in staatlichen Vorschriften widerspiegeln würden, keine absolute Sicherheit in Atomanlagen verlangen würden. Diese Interpretation widerspricht dem Urteil vom Obersten Gerichtshof von Itaka aus dem Jahr 1992, das die Notwendigkeit von allen möglichen Vorsichtsmaßnahmen anerkannte, die ergriffen werden sollen, damit jede Eventualität von Atomunfällen ausgeschlossen wird. Das ist ein klarer Rückschritt in der Justiz, und wir betrachten es als schwerwiegenden Fehler des Gerichtes. Warum war es nicht möglich mit all den überzeugenden Zeugenaussagen und Beweismaterialien, die Verantwortlichen für schuldig zu befinden? Trotz der tiefen Enttäuschung haben wir Berufung eingelegt. Wir hoffen und erwarten sehr, dass das Gericht eine Burg der Gerechtigkeit ist, die komplett unabhängig von den anderen Gewalten urteilt. Jedenfalls sind wir entschlossen, weiter zu kämpfen, um unsere Würde wiederzufinden.
Lasst uns weiterhin die Kräfte vereinen, damit die Geschichte der Nukleartragödien so früh wie möglich zu Ende geht!
Zum 11. März 2020 in Fukushima,
Muto Ruiko
(Übersetzung aus dem Japanischen: Yû Kajikawa)