Basel / Luzern, 23. April 2019
Uns Ärzten bereitet nicht nur der globale Fallout aus den Zeiten der atmosphärischen Atomtests, sondern auch die kontinentale Kontaminierung durch die beiden nuklearen Katastrophen in Europa und Japan Sor-ge. In Fukushima findet zudem eine weiterhin andauernde Belastung des Pazifiks durch das auslaufende radioaktiv kontaminierte Kühlwasser statt. Via Nahrungskette belastet die Einnahme von kontaminiertem Fisch und sonstigem Seafood auch die Konsumenten. Auch die Umweltbelastung durch die unkontrollierten Abraumhalden zahlreicher Uranminen sind problematisch: radioaktiver Staub wird verweht oder gelangt bei Niederschlägen ins Grundwasser. In diesem Zusammenhang wurde ja vor kurzem Johannesburg als „die radioaktivste Stadt der Welt“ genannt, weil die in den Tailings der Goldminen gelagerten Erze natürlich auch Urananteile enthalten.
Bei der Buchpublikation von „Atomfieber“ von Michael Fischer haben Sie vor kurzem die Hoffnung geäus-sert, dass neue Entwicklungen bis hin zu einer quasi risikofreien Atomenergie denkbar seien, ja dass so die Klimaerwärmung gebremst werden könne. Auch das Atommüllproblem sei so fast von selbst lösbar. Weil uns hier Fachwissen fehlt, möchten wir uns nicht zu den neusten Entwicklungen im Reaktordesign äussern. Wir sind jedoch der Ansicht, dass die Kerntechnologie im Vergleich mit den Alternativen Energien aus Kos-tengründen keine Zukunft haben wird und deshalb auch keinen Beitrag bei der Bewältigung des Klimawan-dels leisten kann. Sie kommt bei dessen Dringlichkeit in jedem Fall zu spät, produziert mehr CO2 als erneu-erbare Energiequellen und leistet weltweit ohnehin einen immer geringeren Beitrag zur Elektrizitätsgewin-nung. Wir sehen in der Wahrnehmung der negativen Aspekte der Nutzung der Atomenergie eine gewisse Kluft zwischen Ihnen, dem AKW-Spezialisten, und uns kritischen Ärztinnen und Ärzten und auch einer teil-weise kritisch eingestellten Öffentlichkeit: Könnte diese Diskrepanz in der Perzeption etwas damit zu tun haben, dass sich Nuklearfachleute mit den problematischeren Aspekten der Kernenergienutzung schwer-tun, während Ärztinnen und Ärzte diese eher als wichtig erachten, sind sie doch in ihrem Alltag oft mit Krankheit und Tod konfrontiert ?
Für Ihre Überlegungen und Replik möchten wir uns bedanken und verbleiben
Antwort von Herrn Prof. H.M. Prasser per email vom 25.4.2019
Sent: Thursday, April 25, 2019 18:37
To: psr / ippnw
Cc: clknu@hotmail.com; anidecker@bluewin.ch
Subject: Re: Offener Brief an Herrn Prof. Prasser vom 23.4.2019
Sehr geehrter Dr. Knüsli, sehr geehrter Professor Nidecker
Ich freue mich ganz ausserordentlich, dass Sie über das Risiko der Kernenergie mit mir in Diskussion treten wollen.
Als Ärzte sind Sie bei Therapien, die Sie anwenden mussten, sicherlich oft Risiken eingegangen, um Schaden abzuwenden. Ich habe mich nicht nur mit Kernenergie beschäftigt, sondern stets versucht, das Gesamtsystem der Energieversorgung im
Auge zu behalten. Das führt mich zu dem Schluss, dass die Kernenergie dringend angewandt werden muss, um die mit der Energieversorgung verbundenen Umweltprobleme einigermassen beherrschen zu können. Unter anderem möchte ich, dass die Gefahren der immer sichtbarer werdenden Klimaveränderungen noch abgemildert werden können. Ich komme
auch zu dem Schluss, dass die kolossale Aufgabe nur gelöst werden kann, wenn sich ein sparsamer und rationeller Energieeinsatz, die erneuerbare Quellen und die Kernenergie dabei ergänzen. Es ist sozusagen wie mit der Strahlentherapie und der Chemo auf Ihrem Gebiet.
Dabei kann ich Ihnen versichern, dass ich die Risiken nicht leichtfertig in Kauf nehme. Ich habe mir vielmehr, gemeinsam mit vielen anderen Kollegen, die Aufgabe gestellt, das Risiko der Kernenergie im gesamten Lebenszyklus immer weiter
zu senken. Ich bin der Überzeugung, dass ein angemessener Anteil an Kernenergie Gesundheitsrisiken und negative Umwelteinflüsse des Energiesystems als Ganzes global eher senkt als vergrössert.
Ich kann Ihnen gern die Details erläutern, die mich zu diesen Erkenntnissen führen und ich kann Ihnen auch Fragen zur Sicherheit von Kernkraftwerken beantworten. Das würde ich aber lieber im direkten Kontakt tun, als in einer Serie von Briefen oder E-Mails. Bitte teilen Sie mir mit, ob Sie an einem solchen Kontakt interessiert sind.
Mit freundlichen Grüssen
Horst-Michael Prasser
C. Knüsli und A. Nidecker haben das Angebot für einen direkten Kontakt gerne angenommen. Sie werden Herrn Prof. Prasser am 13.6.2019 an der ETH Zürich zu einem Gespräch treffen. Auf Anregung von Prof. Prasser haben wir den obgenannten Wortlaut seiner Antwort (E-Mail vom 25.4.2019) auf unsere IPPNW – Homepage übernommen. C.Bürgler, Geschäftsführerin, 13.5.2019.
Am 10. Mai 2019 haben wir zudem eine Reaktion von Albert Rösti, Präsident SVP Schweiz und Mitglied der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie, erhalten.